Leseprobe aus „Der Schwindel“

Das Erwachen

Erst als sich ein weiterer Duft zu den Zedern mischte, der sich zart, aber eindringlich im Badezimmer verbreitete, wachte Jan wieder auf.

«Kurwa.»

Er öffnete die Augen.

«Wer bist du?»

Sein Blick weitete sich, denn im Badezimmer stand ein Engel. Ein Engel, in einen schwarzen Mantel gehüllt, der ihn wütend anfunkelte.

«Janusz Zak», ruckartig setzte er sich in der Badewanne auf, wobei er Wasser verspritzte.

«Ha!», rief der Engel.

Jan zuckte zusammen.

«Kłamca. Hör auf so dämlich zu grinsen, Trottel.»

«Bist du», sagte Jan, «nicht die Frau aus dem Zug?»

«Idiota. Geht dich das was an?»

Sein Blick streifte den Nerzhut auf ihren Locken. «Wohl eher nicht.»

«Kurwa!» Der Engel zückte einen Hotelschlüssel. «Jetzt hörst du mal zu, Arschloch. Wer auch immer du bist, du Nichtsnutz, du bist nicht Janusz.»

«Und wieso nicht, schöne Fremde?»

«Mir reicht’s. Ich rufe die Polizei.» Energisch zog der Engel ein glitzerndes Smartphone aus der Manteltasche.

«Bitte nicht.»

«On jest kompletnie walnięty!» sagte der Engel, während er auf dem Display herumdrückte.

«Ich bin nicht verrückt. Ich habe nur für einen kurzen Moment zu viel Glück gehabt. Kannst du nicht einfach vergessen, dass ich hier war?»

Der Engel sah ungläubig vom Telefon zu Jan und schüttelte den Kopf. «Endlich. Das ist die Nummer. Hallo Auskunft, stellen Sie mich zur Polizei von St. Moritz durch.» Die Augen des Engels blitzten, als er zu Jan herübersah, der in der Badewanne hin und her rutschte.

«Hast du etwas dagegen, dich umzudrehen?», er machte Anstalten sich zu erheben.

«Wag es ja nicht, du Grossmaul.» Mit einer einzigen Bewegung öffnete der Engel seinen Mantel und zog aus einer Innentasche eine kleine, schwarze Spraydose. Das Telefon eingeklemmt zwischen Ohr und Schulter, zog er den Deckel weg: «Das ist ein Pfefferspray. Wenn du dich nur einen Millimeter aus der Wanne bewegst, wirst du heulen wie ein Baby, kut… Hallo Polizei, ich habe hier ein Arschloch, das sich für meinen Freund ausgibt. Kommen Sie sofort her und nehmen ihn fest.»

Jan musterte den gelockten Engel, der die vollen Lippen zu einem schmalen roten Strich zusammenpresste. Die Seidenbluse, die unter dem Mantel zum Vorschein kam, hatte exakt denselben Rotton.

«Nein, das ist kein Scherz. Der Arsch sitzt in meiner Suite im Grand Hotel Kulm und badet und trinkt Champagner auf die Kosten meines Freundes Janusz Zak.» Die Lippen wurden noch schmaler. «Sie schicken jetzt sofort einen Polizeiwagen her und nehmen den Spinner fest. … Wissen Sie eigentlich was so ein Zimmer kostet? … Sind 13’000 pro Nacht genug, dass Sie Ihren Hintern bewegen? … Gut. Ich warte.» Sie legte auf und sah Jan triumphierend an. «Kurwa, jetzt bist du dran.»

Jan seufzte, konnte aber den Blick nicht von dem Pfefferspray in der linken Hand, den unzähligen mit wertvollen Steinen besetzten Ringen und den vollen Brüsten, die sich unter dem roten Stoff rasch hoben und senkten, abwenden.

«Schau gefälligst woanders hin», drohend bewegte sie den Pfefferspray.

«Es war ein …, ein … Versehen», versuchte es Jan.

«Halt die Klappe, Blödmann. So ein Versehen gibt es nicht. Du kannst von Glück reden, dass ich dich gefunden habe. Jetzt gehst du zur Polizei. Janusz …», sie unterbrach sich, «Janusz hätte dich mit beiden Händen aus dem Fenster geschmissen.»

«Dann ist heute doch irgendwie mein Glückstag.»

«Kurwa, bist du vollkommen irre? Du gehst jetzt in den Knast und wir, ich, mache dir die Hölle heiss. Idiota.»

Das Smartphone klingelte. «Kurwa, was de… Zygmunt!»

Die Hand des Engels begann zu zittern, doch die Stimme blieb ruhig: «Was redest du da?» Unruhig wanderte sein Blick zu der Badewanne und blieb zögernd an Jan hängen. Ein katzenhaftes Lächeln wanderte über die Lippen. «Es tut mir leid, Zygmunt, aber du täuschst dich. Janusz sitzt mir hier gegenüber. In der Badewanne. … Wir sind im Kulm. … Heute angereist.» Der Engel betrachtete die Ringe an seiner linken Hand und sah wieder zu Jan. «Neun Uhr. … Ja. … Cześć.» Der Engel legte auf.

Mit dem Telefon verschwand auch das Lächeln und der Pfefferspray wanderte wieder in die Höhe. «Kurwa. Heute ist tatsächlich dein Glückstag. Los, steh auf.»

«Kann ich ein Handtuch haben?»

«Idiota, ich will dich anschauen», er fuchtelte wieder mit dem Pfefferspray und Jan erhob sich. «Los, komm da raus.»

Das warme Wasser rann von seinem Körper und hinterliess kleine Wasserlachen auf den Stufen.

«Drehen», befahl der Engel.

Jan drehte sich langsam um die eigene Achse, bis er wieder das konzentrierte Gesicht sah.

«Unglaublich», sagte der Engel kopfschüttelnd. «Du bist zwar dünner als Janusz. Aber sonst … sonst könntest du sein verdammter Zwillingsbruder sein.»

Wieder klingelte ein Telefon.

«Kurwa, die Polizei.» Der Engel griff nach einem Hörer bei den Waschbecken: «Ja.»

Jan langte nach einem Handtuch.

« Wissen Sie, es handelt sich um ein Missverständnis, also mehr um eine Überraschung. Janusz hat mir einen kleinen Streich gespielt und ich dachte … Es tut mir schrecklich Leid, dass die Polizisten hier sind. Bei der ganzen Aufregung habe ich ganz vergessen, mich zu melden. … Sie möchten heraufkommen? … Das ist gar nicht nötig. Es hat sich alles … Ja. Ja. … Ich verstehe. … Natürlich.» Sie legte auf. «Kurwa.»

«Was ist?»

«Die kommen rauf, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Los, du musst so tun, als ob du Janusz wärst.»

«Aber ich komme doch ins Gefängnis, wenn ich Janusz bin.»

«Halt die Klappe. Sei einfach Janusz und sag, dass alles in Ordnung ist, sonst bist du fällig. Und zieh Dir was an.»

«Aber …»

«Was denn …», wieder zuckte der Pfefferspray. Beschwichtigend hob Jan die Hände. «Ich tue dir nichts. Aber wenn ich Janusz Zak und du meine Freundin bist, sollte ich deinen Namen kennen.»

Der Engel lachte auf. «Kurwa. Natürlich. Natalia.»

«Ich bin …»

«Ich kenne deinen Namen, Janusz», sagte sie, als es an der Tür läutete. «Kurwa. Los, zieh den Bademantel an. Ich halte sie auf.»

«Natalia.»

Sie war schon in der Türe, als sie sich umsah.

«Der Pfefferspray.»

«Kurwa.»

Sie liess ihn in ihrer Handtasche verschwinden und eilte aus dem Badezimmer.