Das Wasserspiel

Ein Mann schleppt sich durch die Wüste. Er schleift einen Wasserschlauch durch den Sand. Der ist leer.
Endlich kommt er zu einer Oase. Das Grün der Pflanzen schmerzt in seinen Augen. Das Wasser glitzert scharf wie Brillanten. Bei dem Anblick bricht er auf den Knien zusammen. Als er wieder zu sich kommt, fällt sein Blick auf eine Holztafel. Er kneift die Augen zusammen und liest:

1 Glas Wasser 1 Dinar

1 Wasserschlauch 5 Dinar

1 Wäsche 50 Dinar

1 Vollbad 1000 Dinar

Neben dem Schild liegt ein Teppich. Darauf sind mit klarem Wasser gefüllte Gläser, Wasserschläuche, Becken und Zuber. Dahinter sitzt ein Mann mit rotem Bart. Hinter ihm steht ein Hüne, der dem Bärtigen mit einem Palmenblatt Luft zu wedelt.

„Willkommen, willkommen“, sagt der Mann auf dem Teppich fröhlich, „es freut mich ausserordentlich, dass Sie den Weg hierhergefunden haben. Mein Name ist Ben Ibn Butcher und ich erfülle Ihnen alle Wünsche.“ Erwartungsvoll sieht er den Verdurstenden an. „Nun Verehrtester, was kann ich für Sie tun?“

„Wasser“, röchelte der.

„Natürlich, natürlich. Alle wollen Wasser. Stimmt’s Ali?“

Der Hüne wedelt weiter.

„Bring dem Herren ein Glas Wasser Ali. Ali ist“, fügt er hinzu, „meine linke und meine rechte Hand. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun würde.“

Vorsichtig legt der Hüne den Palmwedel in den Sand, stapft nach vorne und überreicht dem Mann ein Glas. Der trinkt es in einem Zug leer.

„Bitte mehr.“

„Gerne, gerne“, antwortet Ben Ibn Butcher und schiebt dem Hünen ein Glas hin. „Aber erst …“ Der Hüne hält in der Bewegung inne. „Die Bezahlung.“

„Welche Bezahlung?“

Ben Ibn Butcher zeigt auf die Tafel neben seinem Stand.

Der Mann fährt sich mit der Zunge über die gesprungenen Lippen. „1 Dinar? Aber das Wasser ist doch aus der Quelle.“

„Natürlich, natürlich ist es aus der Quelle. Deshalb schmeckt es ja auch so unvergleichlich gut. Sandgefiltert. Verstehen Sie?“

Der Hüne hält seine Pranke hin.

„Ich habe kein Geld“, sagt der Mann. „Ich komme aus der Wüste, wo ich alles zurückgelassen habe. Mein Kamel. Meine Datteln. Mein Geld. Sogar die Knochen meiner Frau liegen irgendwo unter dem Himmel.“

„Sehr bedauerlich. Wirklich sehr bedauerlich.“ Ben Ibn Butcher schüttelt den Bart.

„Ich verdanke Ihnen mein Leben. Lassen Sie den Dank Lohn genug sein.“

„Von Dank allein wird man nicht satt.“

„Ohne das Wasser wäre ich tot.“

„Tut mir leid, aber so funktioniert dieses Spiel nicht.“ Ben Ibn Butcher seufzt: „Die Regeln sind einfach. Ich gebe, Sie bezahlen. Schliesslich ist es mein gutes Recht mein Eigentum für einen angemessenen Preis zu verkaufen.“

„Dann trinke ich aus der Quelle.“ Der Mann kriecht auf den Knien vorwärts.

Der Hüne tritt ihm in den Weg.

„Geh zur Seite.“

Der Hüne verschränkt die Arme.

Ben Ibn Butcher schüttelt den Kopf. „Unter diesen Umständen kann ich es nicht zulassen, dass Sie aus der Quelle trinken. Sie schulden mir bereits einen Dinar und der Quelltrunk würde Sie ruinieren.“

Ben Ibn Butcher zeigt wieder auf die Tafel. Auf der Rückseite steht in Pinselstrichen. „Ben Ibn Butcher‘s Oase.“

„Wie kann die Quelle Ihnen gehören!“

„Es war ein Schnäppchen.“

„Das ist Natur. Die kann man nicht kaufen.“

„Aber, aber, mein Lieber, alles kann man kaufen.“

„Ich bin aus Wasser. Sie sind aus Wasser geboren. Wasser ist ein Geschenk. Sie können es nicht herstellen wie einen Wasserschlauch.“

„Sie haben vollkommen Recht, mein Lieber.“ Ben Ibn Butcher dreht eine rote Locke um seinen Zeigefinger. „Deshalb ist es ein ausgezeichnetes Geschäft. Wie Sie selber schon sagten, wenn Sie kein Wasser bekommen, sterben Sie.“

„Das ist grausam.“

Ben Ibn Butcher hebt eine Augenbraue. „Sie schulden mir einen Dinar.“

„Sie nehmen mir mein Recht auf Wasser.“

„Ich glaube, Sie verstehen nicht. Ich habe hier meine Decke ausgebreitet, die Gläser geputzt, die Wasserschläuche gereinigt und für sauber Kessel und Zuber gesorgt. Viele Leute wissen es zu schätzen, dass ich Tag und Nacht hier sitze.“

„Das einzige was ich habe ist der Wasserschlauch und mein Leben.“

„Ersteres können Sie behalten. Aber Ihr Leben nehme ich gerne.“

Der Mann gräbt die Hand in den Sand: „Was wollen Sie mit meinem Leben?“

„Das entscheiden Sie“, antwortet Ben Ibn Butcher. „Sie können sterben oder es in meine Dienste stellen.“

„Tot nütze ich Ihnen nichts.“

„Mein lieber Freund, das können Sie nicht wissen. Es gibt so vieles zwischen Himmel und Erde und die unsterbliche Seele ist ein Teil davon.“

Der Mann erschaudert: „Sie erwerben Seelen.“

„Tatsächlich ist es eines meiner Kerngeschäfte. Zurzeit ist der Kurs nicht besonders hoch. Aber wie Sie sehen“, er zeigt auf die Oase, „zum richtigen Zeitpunkt hat alles seinen ganz besonderen Wert.“

„Was für ein grausames Spiel.“

„Nehmen Sie es sportlich. Nun? Wollen Sie sich erst satt trinken oder wollen Sie gleich mit dem Palmwedel beginnen? Mir ist etwas heiss.“

„Und was tut Ali?“

„Er füllt das Wasserglas auf. Unser nächster Kunde kommt bestimmt.“